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Neue Ausgabe der „Gerbergasse 18“ mit Schwerpunkt MENSCHENRECHTE erschienen
Die „Zwölf Artikel der Bauernschaft“ aus dem oberschwäbischen Memmingen vom März 1525 gelten als eine der frühesten Erklärungen der Menschen- und Freiheitsrechte in Europa. Die Betonung von Freiheit und Selbstbestimmung im Forderungskatalog der „Memminger Artikel“ vor 500 Jahren – zehn Jahre nach der „Magna Charta“ und während des Bauernkrieges niedergeschrieben – lesen sich wie eine Vorlage für zukünftige Menschenrechtserklärungen – und als Schlüsseldokument der an Höhepunkten nicht überreichen deutschen Freiheitsgeschichte.
Nach den Verbrechen des Zweiten Weltkrieges und der Schoah kam es erneut zur Formulierung einer elementaren Menschenrechtsproklamation. Am 10. Dezember 1948 wurde in Paris durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet. Der erste der dreißig Artikel lautet: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.“ Menschenrechte sind keine interne Angelegenheit eines Staates, denn sie sind universell, unteilbar und unveräußerlich.
Aber nur Menschenrechte, die bekannt sind und verstanden werden, können sich entfalten und geschützt werden. Dafür sind Initiativen zur Menschenrechtsbildung unverzichtbar. Wie die Einhaltung der Menschenrechte weltweit gewährleistet und deren Verletzung sanktioniert werden kann, dafür wird bis heute nach effektiven Strategien und wirksamen Instrumenten gesucht. Hierbei sind die Stellung und der Schutz von gesellschaftlichen Minderheiten ein wichtiger Indikator.
Als am 1. August 1975 in Helsinki die dritte und finale Phase der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) mit der Unterzeichnung einer Schlussakte durch 35 Staaten endete, wurde diskutiert, ob sich nur durch ein vertraglich nicht bindendes Abkommen die Menschenrechtslage in den Ländern hinter dem „Eisernen Vorhang“ verbessern würde. Die Kritiker behielten zunächst recht, denn die Menschenrechtsverletzungen endeten nicht. Die Sowjetunion, und mit ihr die DDR, konnte die Konferenz propagandistisch als diplomatischen Sieg feiern. Doch dann geschah, was auch als „Helsinki-Effekt“ beschrieben wird. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger beriefen sich auf die in der Schlussakte zugesicherten Menschenrechte, es wurden Helsinki-Gruppen gegründet und Menschen engagierten sich vor Ort für Veränderungen.
Der aktuelle Dokumentarfilm „Der Helsinki Effekt“ des finnischen Regisseurs Arthur Franck blickt humorvoll auf die Konferenz vor 50 Jahren zurück und feiert die „Kunst der Diplomatie“. Aber er scheut den Blick auf die mörderische Gegenwart und erwähnt nur im Abspann, dass die Moskauer Helsinki-Gruppe auf Beschluss der russischen Justiz 2023 aufgelöst werden musste. Während seit dreieinhalb Jahren in Europa ein Vernichtungskrieg tobt und damit Sicherheit und Zusammenarbeit zerstört hat, weil die ebenfalls in Helsinki vereinbarten Grundsätze von Souveränität und Gewaltverzicht missachtet wurden, lässt sich mit dem Abstand von 50 Jahren fragen: Wo ist der „Geist von Helsinki“ geblieben?
Eine Inhaltsübersicht und einige Leseproben finden Sie HIER.
Die aktuelle Ausgabe der „Gerbergasse 18“ (Heft 115) ist im Buchhandel oder DIREKT über die Geschichtswerkstatt Jena erhältlich.
Mord in staatlichem Auftrag – Manfred Smolka starb vor 65 Jahren
Als der 1930 in Oberschlesien geborene Manfred Smolka, Oberleutnant der DDRGrenzpolizei, am 12. Juli 1960 in Leipzig unter dem Fallbeil starb, war ich 23 Jahre alt und studierte im 5. Semester Literaturwissenschaft an der Freien Universität in Berlin-Dahlem. Ob ich damals diesen von Erich Mielke, dem seit 1957 amtierenden Minister für Staatssicherheit, angeordneten Gewaltakt zur Auslöschung eines Menschenlebens registrierte und politisch einzuordnen wusste, weiß ich nicht mehr. Ich weiß aber noch, dass ich zwei Jahre später, als ich wegen „staatsgefährdender Hetze“ zu dreieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt war, in Waldheim einen Häftling traf, der Manfred Smolka gekannt und die letzten Tage vor der Exekution mit ihm verbracht hatte. Ein Jahr später wurde die Mauer in Berlin gebaut. Während meiner drei Gefängnisjahre hatte ich gelernt, dass Kommunisten in ihren gnadenlosen Machtausübung, sie nannten das „Klassenkampf“, zu jedem Verbrechen fähig waren, auch zu Mord.
Manfred Smolka, dessen Vater 1943 gefallen war, flüchtete 1945 mit Mutter und Geschwistern vor der anrückenden „Roten Armee“ von Oberschlesien nach Hohenleuben im Landkreis Greiz (Thüringen), wo er bis 1947 als Landarbeiter tätig war. Er wurde 1948 SED-Mitglied, machte eine Grundausbildung bei der Volkspolizei und wurde Grenzpolizist. Nach dem Besuch der Offiziersschule wurde er Oberleutnant der Grenztruppen und wohnte mit Frau und Tochter in Titschendorf im Saale-Orla-Kreis. In diesem Ort wurde am 11. Mai 2017 ein Gedenkstein für Manfred Smolka eingeweiht.
Am 17. Juni 1958, dem 5. Jahrestag des Arbeiteraufstands von 1953, widersetzte sich Manfred Smolka einem Befehl zur „verschärften Grenzsicherung“. Er wurde zum Feldwebel degradiert und von den Grenztruppen entlassen, wegen „parteischädigenden Verhaltens“ wurde er dann auch aus der SED ausgeschlossen. In der Nacht zum 15. November 1958 flüchtete er über die innerdeutsche Grenze nach Bayern und fand eine Arbeit als Kraftfahrer in Peisel bei Gummersbach (Nordrhein-Westfalen).
Am 22. August 1959 wollte er seine Frau und die Tochter über die innerdeutsche Grenze nach Bayern holen. Seine Pläne waren aber verraten worden. Er geriet an der Grenze in einen Hinterhalt und wurde, noch auf westdeutschem Gebiet, von einem im Gebüsch versteckten Mordkommando der Staatssicherheit angeschossen und mit durchschossenem Oberschenkel auf DDR-Gebiet verschleppt.
Es ging ihm ähnlich wie dem ehemaligen Häftling Michael Gartenschläger, der nach zehn Jahren Zuchthaus in Brandenburg von der Bundesregierung freigekauft wurde. Er wurde am 30. April 1976 von einem Spezialkommando der Staatssicherheit an der innerdeutschen Grenze bei Lübeck erschossen, als er vom Grenzzaun eine Splittermine abmontieren wollte, und als „unbekannte Wasserleiche“ auf dem Schweriner Waldfriedhof verbrannt.
Manfred Smolkas Schicksal, die Todesstrafe „aus erzieherischen Gründen“ zu verhängen, war schon besiegelt, ehe der Prozess überhaupt begonnen hatte. Gleich zu Beginn des Verfahrens vor dem Bezirksgericht Erfurt widerrief Manfred Smolka sein erzwungenes Geständnis, für westdeutsche Geheimdienste gearbeitet zu haben. Der Mutter des Angeklagten war der Zutritt zum Gerichtssaal verweigert worden, stattdessen saßen dort 65 Politoffiziere der Nationalen Volksarmee und der Volkspolizei und 17 Offiziere des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), sein Pflichtverteidiger vor Gericht war inoffizieller Mitarbeiter (IM) des MfS.
Smolkas Frau wurde später vor demselben Bezirksgericht wegen „Republikflucht“ zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt, die sie im Frauengefängnis Hoheneck verbrachte. Die noch minderjährige Tochter wuchs bei den Großeltern auf. Das Berufungsverfahren scheiterte am 6. Mai 1960, weil Staatspräsident Wilhelm Pieck das von der Mutter eingereichte Berufungsbegehren abgelehnt hatte.
Am 12. Juli 1960 wurde Manfred Smolka in Leipzig-Meusdorf mit der Fallschwertmaschine exekutiert. Vorher hatte er noch an seine Angehörigen einen Brief schreiben dürfen, der aber nie zugestellt wurde: „Meine liebe, gute Muttel, liebe Geschwister, liebe Frau und mein liebes Kind! Soeben habe ich erfahren, dass mein Todesurteil vollstreckt wird, ich habe nur noch wenige Minuten zu leben.“ Dieser Abschiedsbrief, worin er auch um eine Erdbestattung gebeten hatte, wurde unterschlagen und der Witwe, auch nicht nach der Entlassung aus dem Frauengefängnis Hoheneck, nie zugestellt. Seine Leiche wurde verbrannt, auf dem Totenschein wurde als Todesursache „Herzinfarkt“ angegeben. Der Abschiedsbrief und die Prozessakten erreichten Waltraud Smolka erst nach dem Mauerfall.
Am 18. Juli 1960, sechs Tage nach der Vollstreckung des Urteils verschickte MfS-Minister Mielke ein Rundschreiben an alle MfS-Diensteinheiten, „um alle Mitarbeiter des Ministeriums so zu erziehen, dass sie den Verrat hassen und als Tschekisten an der Überwindung politisch-moralischer Mängel und Schwächen ernsthaft arbeiten.“
Im Dezember 1964 wandte sich Waltraud Smolka, die inzwischen aus der Strafhaft entlassen war, an die Staatsanwaltschaft im Bezirk Gera und bat um Auskunft über den Verbleib ihres Ehemanns, da sie nie eine Bestätigung, dass das Todesurteilvollstreckt worden sei, erhalten hatte. Man hätte ihr während des Strafvollzugs lediglich Ehering, Uhr und Wäsche zugeschickt. Der Brief wurde von Gera an die Staatsanwaltschaft Erfurt weitergeleitet, die sich am 29. Dezember 1964 an die Generalstaatsanwaltschaft in Ostberlin wandte. Auch von dort erhielt Waltraud Smolka acht Monate keine Antwort, sodass sie sich am 26.August 1964 direkt an den Generalstaatsanwalt Josef Streit wandte, der 1962 in dieses Amt berufen worden war. In ihrem Brief schrieb sie, es wäre ihr immer noch unverständlich, dass „dieses Urteil ausgeführt wurde. Sollte es doch zutreffen, dann fordere ich sofort eine amtliche Todesurkunde“. Am 27. September wurde die Sterbeurkunde schließlich von Ost-Berlin nach Gera geschickt und am 15. Oktober 1965, mehr als fünf Jahre nach Manfred Smolkas Tod, seiner Witwe übergeben. Im internen Begleitschreiben stand die Anweisung: „wobei Einzelheiten des Verbrechens in der Aussprache nicht darzulegen sind“. Nach der Übergabe der Urkunde wurde nach Ost-Berlin mitgeteilt: „Frau Smolka vertrat den Standpunkt, dass die Verurteilung ihres Mannes zum Tode ein Racheakt sei und ein abschreckendes Bespiel sein sollte.“
Fast 30 Jahre später, Ende Januar 1990, traten Waltraud Smolka und ihre Tochter Ursula Franz an die Öffentlichkeit und stellten Strafanzeige gegen Erich Honecker wegen Totschlags und Rechtsbeugung. Bis zur Ausreise des SED-Politikers nach Chile im Januar 1993, also ganze drei Jahre lang, wurde diese Strafsache von der bundesdeutschen Justiz verschleppt, bis die Täter nicht mehr greifbar waren.
Der einstige DDR-Häftling Klaus Schmude veröffentlichte 1992 das Buch „Fallbeil-Erziehung. Der Stasi/SED-Mord an Manfred Smolka“. Waltraud Smolka verklagte 1998 die SED-Nachfolgepartei PDS auf Schadenersatz, ohne Erfolg.
Dr. Jörg Bernhard Bilke
Germanist, Coburg
